Bündnis 90 /
Die Grünen
Ortsverband
Müllheim-Neuenburg und Umgebung
www.gruene-muellheim-neuenburg.de
Mitglied im OV-Vorstand
Britzinger Weg 24,
Mail: dora.pfeifer-suger@gmx.de
An die
Bundestagsfraktion
Bündnis 90 / Die Grünen
und an den
Bundesvorstand Bündnis 90/ Die Grünen
Müllheim, den 11. Juni 2005
Hartz IV – ein Verarmungsprogramm!?
Liebe
Freundinnen und Freunde,
fünf Monate
nach Beginn von Hartz IV zeigen sich zunehmend und mit klarer Deutlichkeit,
dass Hartz IV zur Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten führt.
Vor allem
Alleinerziehende, Familien mit Kindern und ältere Menschen sind von den Hartz IV
– Regelungen besonders hart betroffen.
Vor allem Kinder aus Familien, die ALG II
beziehen, sind von der Teilhabe in wichtigen und für ihre Zukunft
entscheidenden Bereichen ausgeschlossen.
Wir haben
mit einer ganzen Reihe von allein erziehenden Müttern geredet. Unterm Strich
erhalten sie nach den ALG II - Bescheiden weniger Geld als vorher über die Sozialhilfe. Das liegt zum einen daran, dass das
Kindergeld zu 100 % angerechnet wird. Bei der Sozialhilfe waren ca. 10.- € pro
Kind nicht angerechnet worden. Dann waren die pauschalierten Sozialhilfesätze
für Kinder über 7 Jahre um ca. 20.- €
höher als die Grundsicherungssätze beim ALG II.
So lag im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald der pauschalierte
Regelsatz für Kinder zwischen 7 und 13
Jahren bei 227,74 €, für 14-17jährige bei 315,06 € monatlich. Lediglich die
Sätze für Kinder unter 7 Jahren lagen niedriger als beim ALG II.
Probleme
gibt es auch bei der Miete. Die Miethöhe, die als angemessen akzeptiert wird,
entspricht schon lange nicht mehr der Realität. 30m² Grundfläche + 15 m² pro
Person a. 5,10 € Kaltmiete. Für diesen Preis ist es aber so gut wie
ausgeschlossen, in unserer Region eine Wohnung zu finden. Zwei Jahre Wartezeit
bei einer Wohnungsbaugesellschaft die noch relativ günstige –Wohnungen anbietet
und noch länger bei der Stadt Müllheim. Und auf dem freien Markt gibt es für
diesen Preis kaum Wohnungen. Hinzu kommt, dass die als angemessen geltende
Nebenkostenpauschale in den meisten Fällen ebenfalls nicht ausreicht. Vor allem
bei billigen Altbauwohnungen fallen fast immer höhere Heizkosten an.
Wird
Widerspruch eingereicht, akzeptierte die ARGE in den meisten Fällen die
tatsächlichen Mietkosten und teilweise auch die Nebenkosten für maximal 6
Monate mit der Auflage in dieser Zeit eine Wohnung zu finden, deren Kosten dem
vorgegebenen Satz entsprechen. Wird während der eingeräumten Frist keine
entsprechende Wohnung gefunden, werden die Mietkosten, die den vorgegebenen
Satz bei der Miete und bei den Nebenkosten überschreiten, an den
Regelleistungen abgezogen. Dies wurde zumindest den Betroffenen so mitgeteilt.
In einigen Fällen wurden die Zahlungen gestoppt, wenn Widerspruch erhoben wurde
oder sich eine Änderung ergab, indem z. B. ein Kind zum anderen Elternteil zog
o. ä. In zwei Fällen bekamen allein erziehende Frauen mit Kindern 4 – 6 Wochen
kein Geld.
Die Anträge
für ALG II müssen nach Berichten von Frauen je nach Vorgeschichte alle 3 bzw. 6
Monate neu gestellt werden. Jeder Besuch bei der ARGE (der örtlichen
Arbeitsgemeinschaft) bedeutet stundenlanges warten, auch wenn nur ein
Antragsformular abgeholt oder abgegeben werden soll.
Viele
Mütter leben praktisch vom Unterhalt der Kinder und wissen nicht, wo sie das
Geld für die Fahrkarte hernehmen sollen, um ihren Kindern weiterhin den Besuch
des Gymnasiums oder der Realschule in der nächsten größeren Stadt zu
ermöglichen. Bleibt eben nur die Hauptschule am Ort. An Musikunterricht ist zum
Beispiel gar nicht zu denken. Das wiederum führt zu massiven Benachteiligungen
der Kinder und der Mütter und zu viel Ärger mit den Vätern, die ja den
Unterhalt für ihre Kinder bezahlen und den Müttern Vorwürfe machen, diesen
nicht für die Kinder einzusetzen.
Mit der
materiellen bzw. finanziellen Verarmung gehen auch die meisten sozialen
Kontakte verloren. Für eine eigenständige Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
reicht das Geld einfach nicht aus.
Wir haben
uns hier Beispielhaft auf die Gruppe Alleinerziehender beschränkt. Die
Problematik ist aber weit größer und betrifft auch Familien in ähnlicher
Weise. Auf die Gruppe der über
50jährigen, die keine Chance haben auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen,
wenn sie ihre Stelle verlieren, und die dann für den Rest des Lebens mit der
Minimalsicherung von ALG II auskommen müssen, möchten wir an dieser Stelle nur
kurz hinweisen. Der soziale Absturz dieser Menschen erfolgt aber mit
erheblichem Tempo.
In der
Praxis zeigt sich immer mehr: die ganze Hartz IV-Geschichte ist ein Skandal.
Die Auswirkungen von Hartz IV widersprechen eklatant dem Gerechtigkeitsbegriff
des grünen Grundsatzprogramms. Einige kleine Korrekturen werden nicht
ausreichen um wirksame Verbesserungen zu erreichen. Ein „weiter so“ kann es auf
dieser Basis nicht geben. Es wird notwendig sein, das ganze System in Frage zu
stellen. In den wenigen Wochen, die voraussichtlich bis zur Bundestagswahl
bleiben, kann dies natürlich nicht erfolgen. Aber es muss erkennbar sein, dass
Bündnis 90 / Die Grünen bereit sind aus den herkömmlichen, aber von der
Entwicklung überholten Denkstrukturen Abstand zu nehmen und konzeptionell neue
Wege zu gehen. Wir werden uns ernsthaft damit auseinandersetzen müssen, dass
immer mehr Menschen nicht mehr von ihrem Arbeitseinkommen leben können, weil
es keiner Regierung möglich sein wird,
Arbeitsplätze in der notwendigen Anzahl zu schaffen, so dass die Menschen von
ihr Hände Arbeit ein menschenwürdiges Leben führen können. Wirtschaftswachstum
bedeutet nicht mehr automatisch eine Zunahme von Arbeitsplätzen. Entstehende
zusätzliche Arbeit wird durch Produktivitätssteigerungen infolge von Automatisierung
zum größten Teil neutralisiert.
Mit
besorgten grünen Grüßen