Bündnis 90 / Die Grünen

Ortsverband Müllheim-Neuenburg und Umgebung

www.gruene-muellheim-neuenburg.de

           

                                                                                                                      Dora Pfeifer-Suger,

Mitglied im OV-Vorstand

 Britzinger Weg 24,

79379 Müllheim,

Tel./Fax: 07631-173657

Mail: dora.pfeifer-suger@gmx.de

Bündnis 90 / Die Grünen, Ov. Müllheim-Neuenburg und Umgebung

 

An die

Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen

und an den

Bundesvorstand Bündnis 90/ Die Grünen                         

 

                                                                                             

 

Müllheim, den 11. Juni 2005

 

 

Hartz IV – ein Verarmungsprogramm!?

 

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

 

fünf Monate nach Beginn von Hartz IV zeigen sich zunehmend und mit klarer Deutlichkeit, dass Hartz IV zur Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten führt.

 

Vor allem Alleinerziehende, Familien mit Kindern und ältere Menschen sind von den Hartz IV – Regelungen besonders hart betroffen.

Vor allem Kinder aus Familien, die ALG II beziehen, sind von der Teilhabe in wichtigen und für ihre Zukunft entscheidenden Bereichen ausgeschlossen.

 

Wir haben mit einer ganzen Reihe von allein erziehenden Müttern geredet. Unterm Strich erhalten sie nach den ALG II - Bescheiden weniger Geld als vorher über die Sozialhilfe. Das liegt zum einen daran, dass das Kindergeld zu 100 % angerechnet wird. Bei der Sozialhilfe waren ca. 10.- € pro Kind nicht angerechnet worden. Dann waren die pauschalierten Sozialhilfesätze für Kinder über 7 Jahre  um ca. 20.- € höher als die Grundsicherungssätze beim ALG II.  So lag im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald der pauschalierte Regelsatz  für Kinder zwischen 7 und 13 Jahren bei 227,74 €, für 14-17jährige bei 315,06 € monatlich. Lediglich die Sätze für Kinder unter 7 Jahren lagen niedriger als beim ALG II.

 

Probleme gibt es auch bei der Miete. Die Miethöhe, die als angemessen akzeptiert wird, entspricht schon lange nicht mehr der Realität. 30m² Grundfläche + 15 m² pro Person a. 5,10 € Kaltmiete. Für diesen Preis ist es aber so gut wie ausgeschlossen, in unserer Region eine Wohnung zu finden. Zwei Jahre Wartezeit bei einer Wohnungsbaugesellschaft die noch relativ günstige –Wohnungen anbietet und noch länger bei der Stadt Müllheim. Und auf dem freien Markt gibt es für diesen Preis kaum Wohnungen. Hinzu kommt, dass die als angemessen geltende Nebenkostenpauschale in den meisten Fällen ebenfalls nicht ausreicht. Vor allem bei billigen Altbauwohnungen fallen fast immer höhere Heizkosten an.

 

Wird Widerspruch eingereicht, akzeptierte die ARGE in den meisten Fällen die tatsächlichen Mietkosten und teilweise auch die Nebenkosten für maximal 6 Monate mit der Auflage in dieser Zeit eine Wohnung zu finden, deren Kosten dem vorgegebenen Satz entsprechen. Wird während der eingeräumten Frist keine entsprechende Wohnung gefunden, werden die Mietkosten, die den vorgegebenen Satz bei der Miete und bei den Nebenkosten überschreiten, an den Regelleistungen abgezogen. Dies wurde zumindest den Betroffenen so mitgeteilt. In einigen Fällen wurden die Zahlungen gestoppt, wenn Widerspruch erhoben wurde oder sich eine Änderung ergab, indem z. B. ein Kind zum anderen Elternteil zog o. ä. In zwei Fällen bekamen allein erziehende Frauen mit Kindern 4 – 6 Wochen kein Geld.

 

Die Anträge für ALG II müssen nach Berichten von Frauen je nach Vorgeschichte alle 3 bzw. 6 Monate neu gestellt werden. Jeder Besuch bei der ARGE (der örtlichen Arbeitsgemeinschaft) bedeutet stundenlanges warten, auch wenn nur ein Antragsformular abgeholt oder abgegeben werden soll.

 

Viele Mütter leben praktisch vom Unterhalt der Kinder und wissen nicht, wo sie das Geld für die Fahrkarte hernehmen sollen, um ihren Kindern weiterhin den Besuch des Gymnasiums oder der Realschule in der nächsten größeren Stadt zu ermöglichen. Bleibt eben nur die Hauptschule am Ort. An Musikunterricht ist zum Beispiel gar nicht zu denken. Das wiederum führt zu massiven Benachteiligungen der Kinder und der Mütter und zu viel Ärger mit den Vätern, die ja den Unterhalt für ihre Kinder bezahlen und den Müttern Vorwürfe machen, diesen nicht für die Kinder einzusetzen.

 

Mit der materiellen bzw. finanziellen Verarmung gehen auch die meisten sozialen Kontakte verloren. Für eine eigenständige Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft reicht das Geld einfach nicht aus.

 

Wir haben uns hier Beispielhaft auf die Gruppe Alleinerziehender beschränkt. Die Problematik ist aber weit größer und betrifft auch Familien in ähnlicher Weise.  Auf die Gruppe der über 50jährigen, die keine Chance haben auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, wenn sie ihre Stelle verlieren, und die dann für den Rest des Lebens mit der Minimalsicherung von ALG II auskommen müssen, möchten wir an dieser Stelle nur kurz hinweisen. Der soziale Absturz dieser Menschen erfolgt aber mit erheblichem Tempo.

 

In der Praxis zeigt sich immer mehr: die ganze Hartz IV-Geschichte ist ein Skandal. Die Auswirkungen von Hartz IV widersprechen eklatant dem Gerechtigkeitsbegriff des grünen Grundsatzprogramms. Einige kleine Korrekturen werden nicht ausreichen um wirksame Verbesserungen zu erreichen. Ein „weiter so“ kann es auf dieser Basis nicht geben. Es wird notwendig sein, das ganze System in Frage zu stellen. In den wenigen Wochen, die voraussichtlich bis zur Bundestagswahl bleiben, kann dies natürlich nicht erfolgen. Aber es muss erkennbar sein, dass Bündnis 90 / Die Grünen bereit sind aus den herkömmlichen, aber von der Entwicklung überholten Denkstrukturen Abstand zu nehmen und konzeptionell neue Wege zu gehen. Wir werden uns ernsthaft damit auseinandersetzen müssen, dass immer mehr Menschen nicht mehr von ihrem Arbeitseinkommen leben können, weil es  keiner Regierung möglich sein wird, Arbeitsplätze in der notwendigen Anzahl zu schaffen, so dass die Menschen von ihr Hände Arbeit ein menschenwürdiges Leben führen können. Wirtschaftswachstum bedeutet nicht mehr automatisch eine Zunahme von Arbeitsplätzen. Entstehende zusätzliche Arbeit wird durch Produktivitätssteigerungen infolge von Automatisierung zum größten Teil neutralisiert.

 

 

Mit besorgten grünen Grüßen

 

Dora Pfeifer-Suger